Tag 9 - Von Santillana del Mar nach Cóbreces

Angespornt vom Elan der anderen Mitpilgerer treffen wir uns alle um 8:00 Uhr zum Frühstück. Gegen 8:30 Uhr verlassen wir unsere Herberge und machen uns auf den Weg nach Cóbreces. Das nächste Dorf im Nirgendwo. Aber die Landschaft durch die wir wandern ist ein Traum. Wir pfeifen und trällern Lieder und weil ich ein schlechtes Gedächtnis habe, fallen mir nur Texte von Liedern aus den 80er Jahren ein, die bei Luca nicht so gut ankommen wie z.B. "Bruder Jakob" - nun gut, trällern wir also abwechselnd Bruder Jakob auf Deutsch und auf Französisch vor uns hin. Zwischendurch schicke ich ein Update-Video an meine WhatsApp-Gruppe, um kurz darauf etwa 20 Kühen beim Verspeisen von frischem Gras zuzuschauen. Das ist mal ein Anblick!

 

Eines weiß ich heute ganz genau: so viel wandern wie gestern werde ich heute sicher nicht. Ich hoffe einfach, dass mich ab Caborredondo (eine Ortschaft auf Hälfte der Strecke, nach ca. 4 km Fußmarsch) ein Bus oder Taxi nach Cóbreces fährt. Dort haben sich zwei meiner Mitpilgerer mit mir verabredet. Auf dem Weg machen wir an einem winzigen Dörfchen an einem Trinkbrunnen halt. Dort treffe ich eine Deutsche, die auf dem Jakobsweg zu sich selbst finden möchte, sowie eine Herrengruppe bestehend aus 4 Männern, die das Ganze wohl überwiegend aus Jux machen und sich schon nach der nächsten Runde Bier sehnen. Luca will noch ein wenig spielen, als mich ein Dorfbewohner anspricht und mir erzählt, dass er erst am gestrigen Tage einer Australierin begegnet sei, die mit Baby unterwegs ist. Er sagte "seitdem erstaunt mich nichts mehr" und meinte weiter, dass es sehr mutig sei, wenn man mit Kind den Jakobsweg ginge - ich antwortete sinngemäß etwas wie: "Die Welt ist nicht unser Feind, es sind die Grenzen, die wir uns selbst aufbürden und deshalb nicht wagen auch mal unbekannte Wege zu gehen." Mit den besten Wünschen zogen wir weiter...

 

Kaum erreichen wir Caborredondo kommt mir eine Pilgerin entgegen - gerade als ich "Buen Camino" sagen möchte, mustert sie mich eindringlich und fragt: "Are you German?" - "Yes, I am!" sage ich. Sie erzählt mir, dass sie von 4 Herren von mir gehört hat und selbst den Jakobsweg geht, allerdings umgekehrt, von Santiago bis Bilbao. Sie sei den Herren vor etwa 15 Minuten begegnet und sie soll mir ausrichten, dass die Herren im örtlichen Restaurant sitzen und auf mich warten. Ich danke ihr und eile stadteinwärts. Müde und hungrig komme ich bei dem besagten Restaurant an und sehe die Herrschaften auch schon wie sie sich bereit machen weiterzuziehen. Wir tauschen ein paar Worte und dann ließ ich sie weiterziehen. Im Restaurant erkundige mich dann nach einer öffentlichen Verbindung nach Cóbreces. Die Kellnerin sucht in allen möglichen Regalen und Schubladen und zückt schließlich einen Busfahrplan. "Cinco minutos!" schreit sie fast hysterisch und schiebt mich auch schon aus dem Restarant, erklärend, dass er nächste Bus erst in 4 Stunden wieder käme. Glück im Ünglück würde ich sagen, denn so rannte ich schmerzenden Fußes, mit dem Kind auf den Armen und hungigem Magen zur besagten Bushaltestelle, um genau diesen einen Bus noch zu erwischen. Leider ähnelte in dem Ort nichts einer Bushaltestelle, sodass ich an der Ecke einer Einbiegung wartete, die mir ein paar spielendende Kinder am Weg als die Haltestelle beschrieben haben. Ich wusste nicht, ob ich richtig stand und begegnete just in dem Moment dem Blick eines Mannes, der gegenüber in seinem Garten gerade seine Blumen goss. Ich ging auf ihn zu und fragte ihn, ob er wisse, wo der Bus anhalte. Er nickte und sagte nur "aqui!", was so viel heißt wie "hier" und zeigte auf seinen Zaun. Gut, dachte ich, setz ich mich mal auf den Boden und warte. 15 Minuten später kam ein Bus und ich winkte wie eine Blöde.

 

Nach 10 Minuten Fahrt in Cóbreces angekommen, wollte ich nur noch meine Sachen los werden und endlich etwas essen! Der Besitzer der Herberge vor Ort schien mir ein echter Charmeur - wenn auch auf ruppig-sonderbare Art - zu sein, der sich aufgrund seines früheren Weltenbummlerlebens sogar in Deutsch mit mir unterhielt. Ich bezahlte den Preis für ein Mehrbettenzimmer und bekam am Ende ein Einzelzimmer und einen persönlichen Aufpasser gestellt (wohl ein Bekannter des Besitzers und Teilzeitarbeiter in der Herberge), der die Hälfte seiner Zeit damit zubrachte mir persönliche Liebes-bekundungen ins Ohr zu säuseln und mir schwor wunderschöne Latte-Macchiato-Kinder zu machen. Die Tragödie gipfelte darin, dass Luca diesen dunkelhäutigen Spielgefährten namens "Pápi" am Ende mit "Papa" betitelte und mich noch die nächsten 3 Tage immer wieder fragte, wo sein Papa sei.

 

In der Herberge selbst traf ich dann eine Pilgerin wieder, der ich beim Wäschewaschen in unserer ersten Herberge in Portugalete begegnet bin. Nach einem gemeinsamen Kaffee fragte ich sie, ob sie mit uns später etwas essen gehen möchte und ging erst einmal Mittagsschlaf machen. Gegen 19:00 Uhr wachten wir auf und ich meinte außerhalb unseres Zimmers eine vertraute männliche Stimme zu hören. Tatsächlich war es einer der Pilger, mit denen ich mich hier verabredet hatte, der gerade mit der Deutschen, mit der ich mich wiederum zum Essen verabredet hatte, die Herberge verließ, um selbst mit ihr essen zu gehen. Ich traf die beiden an dem Abend nicht wieder.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0