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Das moderne Alleinsein

Ich werde oft gefragt, warum ich Deutschland verlassen habe. Auch heute noch, wo ich bald schon ein Jahrzehnt in Wien lebe. Der Grund dafür ist ebenso banal wie auch nur eine logische Konsequenz all meiner eigenen Erfahrungen: Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, die immer viel arbeiten musste, um uns beide durchzubringen. Alimente von meinem leiblichen Vater bekamen wir nie. Meine Mutter verstand es aber, mir ein Lebensgefühl zu vermitteln, dass auf persönliche Wertschätzung und auf eine Menge eigener kleiner Freiheiten beruhte, und sie wusste meine Neugier auf meine Umgebung, die Menschen um mich und die Welt jederzeit zu stillen. So kam es auch, dass ich mich später im Kindergarten leider sehr schwer tat mich in das dort bestehende Gefüge einzufügen und mich plötzlich strengen Regeln unterzuordnen.

 

Ich verstand zwar, dass Regeln notwendig sind, damit eine Gemeinschaft funktioniert,  habe aber auch schnell gelernt wie aus individuellen Menschen, mit kleinen Eigenheiten, die eben auch Kinder schon haben, und wie ich sie liebte,  eine absolute Gleichheit wurde, das Anderssein war nicht gewünscht, und wer anders war, der wurde ausgrenzt. Das sorgte u.a. auch für Machtspielchen untereinander sorgt. Heute weiß ich, was im Kindergarten beginnt, wird im späteren Leben nicht anders. Da gibt es jene Menschen mit großem Geltungsdrang und jene, die sich in ihrer introvertierten Welt wohlfühlen. Und alle Menschen haben ihre Daseinsberechtigung.

 

Aber als Kind lernte ich, dass ich mich stets anzupassen hatte, folglich verbrachte ich meine ganze Jugend damit so zu sein, wie andere mich haben wollten. Nur innerhalb meiner Familie konnte ich so sein wie ich bin: ein kleiner Wirbelwind, mit einer gehörigen Portion Humor und einer menge kreativer Ideen. Spätestens mit Beginn der Pubertät, der Phase jugendlicher Rebellion, fasste ich den Mut, etwas an meiner Situation zu ändern. Das war eine bedeutende Entscheidung in meinem Leben - und veränderte es auch nachhaltig. Ich war nun ein Mensch mit Standpunkt.

  

In den 1980er-Jahren wandelte sich die Gesellschaft um 180 Grad. Aus einem schönen Frauenbild mit weiblichen Rund-ungen wurden "Barbies". Der ganze aufkommende Fitness-trend führte dazu, dass die Gemeinschaft mehr und mehr auf das einzelne Individuum abstellte - jedoch nicht im positiven Sinn. Vorgeheuchelte Selbstverwirklichung war die Triebfeder einer Gesellschaft aus Egoisten, die wir uns selbst erschufen. Es folgte Konsumwahn und permanenter Leistungsdruck. 

Der Haken? In Sachen Kindererziehung lebten wir spätestens in den 1990er Jahren wieder Werte, die aus einem Jahr-hundert stammten, als nur Männer die alleinigen Geld-verdiener waren. In deutschen Gesetzen hat der Feminismus bis heute keine Wurzeln schlagen können - wenn auch zum Vorteil der Frauen, wenn es um deren soziale Absicherung geht. Der deutsche Haushalt basiert nunmehr auf  Frauen, die ihre persönliche Bildung pflegen bis sie 30 Jahre alt (und älter) sind und erst dann ihre ersten Kinder bekommen. Damit liegen viele von ihnen den Großeltern sogar dann noch auf der Tasche, wenn sie gerade aus dem Studienalter hinaus sind, wobei diese sich in ihrer Rente eigentlich ein bisschen Ruhe verdient hätten. Die Rechnung mag für jene aufgehen, deren vorangegangenen Generationen ebenfalls spät Eltern geworden sind. Was aber wenn die Großeltern des eigenen Kindes genauso arbeiten gehen wie alle anderen Menschen? Fakt ist, wir sind keine Gesellschaft mehr, die Kinder, Eltern und Alte integriert. Das Schlimme daran ist, dass sich fast jeder in seinem Leben einmal  einsam oder allein fühlt und diesen Zustand für normal hält. Das ist das moderne Alleinsein.

 

Zu viel Zeit allein zu verbringen ist nicht gut - eben auch allein mit einem Zweijährigen. Weder für uns Eltern, noch für das Kind. Auch ich habe meine Grenzen. Die Wutanfälle, mit denen mein Handeln so manches Mal noch quittiert werden, sind nur begrenzt zu ertragen. Das gilt auch andersrum: Auch für mein Kind bin ich nur begrenzt zu ertragen. Ich sage was mich nervt und was mich stört - und oft möchte ich einfach meine Ruhe.

 

Es gibt Zeiten in meinem Leben und im Leben meines Kindes, in denen wir nicht im Mittelpunkt stehen, in denen uns nicht die volle Aufmerksamkeit zukommt, wo wir uns langweilen oder von allem genervt sind. So ist das Leben: ein Wellengang, der sich stetig mit uns verändert. Dabei sind wir aber nicht allein, sondern auf einer Welle schwimmen viele andere Menschen mit, die uns auf unserem Weg begleiten und uns inspirieren. 

 

In Sachen Erziehung ist mir wichtig, dass ich meinem Kind ein gesundes Fundament aus Liebe und Vertrauen mitgebe. Luca hat mich gelehrt, dass es (ihm) wichtig ist, seine Bedürfnisse als selbständiger Mensch wahrzunehmen, aber auch gewisse Grenzen vorzugeben, die er im Alltag braucht. Er hat seinen eigenen Kopf und entscheidet selbst, und das ist legitim, wann und wie stark er sich von mir als Mutter abkapselt.

 

(Und das geschieht schneller als mir lieb ist.)

Doch, was immer er tut, er weiß, dass er sich immer darauf verlassen kann, dass ich hinter ihm stehe und ihn aus ganzem Herzen liebe. Bedingungslos.

 

Das ist auch der Grund, warum ich auf Reisen gehen möchte. Um meiner selbst Willen würde ich vielleicht gar keine Welt-reise machen wollen oder erst viel später. Ich möchte meinem Kind aber mehr von der Welt zeigen. Ich will es Luca selbst überlassen, welche Werte er definiert. Er soll selbst beurteilen, was wichtig im Leben ist, und wer wirklich arm oder reich ist. Er soll merken, dass Gefühle wie Menschlichkeit und Liebe, glücklicher machen als es ein gewisses Maß an Besitz und Geld kann.

 

Ich glaube daran, dass es dort draußen auf der Welt noch Kinder, Erwachsene und Alte gibt, die fernab (oder zumindest distanzierter) vom digitalisierten Alltag leben. Menschen, die stets jemanden zum Reden haben, der ihnen auch wirklich zuhört und nicht nur von seinen eigenen Problemen erzählt. Menschen, die einander zusammenfinden und die einfache Gemeinschaft genießen. Selbst wenn das nur ein Traum von mir ist, so will ich dennoch mit eigenen Augen sehen, wie die Welt und die Menschen, die in ihr leben, wirklich sind; denn: ich kann es nicht wissen, wenn ich nicht auf Reisen gehe!


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